* 13.7.1942; † 19.5.2012 Foto: Bernhard Hesterbrink
Persönliche Erinnerungen Heisterberg, 5. Juni 2012 Lieber Gerhard, Natürlich warst Du nicht unsterblich für mich - wir sind doch alle Kinder der Aufklärung. Dennoch, die Nachricht Silke Pritzkows von Deinem Tod, rüttelt mich und bewegt mich und schickt die Gedanken zurück in die Zeit mit Dir. Als Olympia Medaillen Gewinner und Weltrekordler warst Du für einen "Normal" Menschen und Studenten an der Sporthochschule der 60er Jahre eine der angehimmelten, überirdischen Sport Größen. In Bochum und Bonn warst Du dann der Aufsehen erregende, unerklärlich erfolgreiche Kollege eines Diplomers mit Sonderfach Schwimmen, der sich, den Counsilman unter dem Kopfkissen und Kurt-Wilke-motiviert, im Kölner Schwimm Verein Rhenus als Trainer versuchte. Als Du schließlich nach Köln zum SV Rhenania kamst, erhöhte das nicht nur die gefühlte Schlagzahl im regionalen Schwimmsport dramatisch. Für uns - inzwischen im 1. SVK, dem Fusions Verein von KSK (Kölner Schwimm Klub) und KSV Rhenus von 1897 - so sehr, dass wir meinten, mit dem Leistungssport aufhören, oder unseren Aktiven ebenfalls zwei Trainingseinheiten täglich anbieten zu müssen. Mit Deinem Renommee als Schleifer, für mich eher als der mit dem preußischen Charm kompromissloser Dickköpfigkeit, wurdest Du ironischer Weise zum "Vater" einer dreifachen Krönung meiner kleinen Trainerlaufbahn: 1. Deine Forderung: "Wer bei mir trainiert, macht das Frühtraining mit - Basta." bescherte mir das größte Schwimmtalent, das ich jemals betreuen durfte, Petra Zindler. Ein beeindruckend zielstrebiges Mädchen, das seine Eltern zu dem Zeitpunkt aber noch für zu jung hielten für ein derartiges Tagespensum von Sport-Schule-Sport. Zurück im SV Rhenania, wohin die fast vollzählige Schwimm Mannschaft des 1. SVK durch vereinsinterne Intrigen "komplimentiert" worden war, gewann Petra - inzwischen ebenfalls zum Frühtraining "konvertiert" - unter Deiner Anleitung die Bronce Medaille über 400 m Lagen bei den Olympischen Spielen in Los Angeles. 2. Für den 1.SVK erschwammen Birgit Schreiner(†), Bettina Duwe, Martina Gelhar, und Petra Zindler in der 4 x 200 m Brust Staffel, die es heute garnicht mehr gibt, einen Deutschen Rekord. 3. Zweimal (Elke sogar dreimal) konnten wir eine Reise nach Barra de Navidad an die Mexikanische Pazifik Küste mitmachen. Eine Woche in Deinem und Marthas Hotel Delfin, eine absolute Empfehlung für Mitteleuropäer, zur "richtigen", nicht zu heißen Jahreszeit. Mal sehen, was ich noch alles erinnere: ▪ Gespräch auf dem Hinflug: "Wir werden Delfine sehen" - "Die sind ja wahnsinnig intelligent" - Professor Dr. Lebek: "Ja, die würden in Deutschland auf dem Zweiten Bildungsweg glatt Abitur machen!" (Miterlebt von Elke. Siehe auch: Untersuchung über das Latinum und die Lesekompetenz deutscher Universitätsstudenten) ▪ Mexico City, Teotihuacán - Besteigen der Sonnenpyramide, sehr beeindruckend; ▪ Wasserski Fahren in der Lagune von Barra, sehr Anfänger freundlich wellenfrei, mit ein paar Sitzlandungen inclusive Brackwasserfüllungen des Enddarms. Und der Ritterschlag für mich: Eine Runde in der Bucht vor dem Strand von Barra, mit den einlaufenden Pazifikwellen, die ich sturzlos überstehen durfte; ▪ Ein Sonnenstich mit allen Schikanen, von Schüttelfrost bis Erbrechen, nachdem ich am Strand eingeschlafen war; ▪ Auf einer Bootsfahrt, 25 Kilometer an der felsigen Pazifikküste entlang, Richtung Nordwest, nach "Los Angeles Locos", einer wahrhaftigen Traumbucht: Ein in (Dis-)Stress Situationen, z.B. bei akut drohender Seekrankheit, zu leichter Balbuties neigendes Mitglied der Schwimm Mannschaft des SV Rhenania (Michael Prüfert?) schon kurz hinter der Bucht von Barra, bei einem winzigen Vogelfelsen: "Hä-Hä--Härr Hätz, können Sie mich hier rauslassen?"; ▪ Mit meiner guten alten Spiegelreflex Canon in einer mehr oder (wohl eher) weniger vor Salzwasser schützenden Plastiktüte, mehr oder (wohl eher) weniger über Kopf und über die Wellen gehalten, die zweihundert Meter Verbindung vom offenen Meer zur Lagune, hin zur "Isla de Navidad" und zurück geschwommen, um "nur von dort mögliche, tolle" Fotos von Barra zu machen. Die feinste Mechanik dieses Spitzenprodukts der Kameratechnik war, nur einen Tag später, zu einem unbewegbaren Klumpen Schrott korrodiert; ▪ Bob Baham, ein Hühne, der gravitätisch in riesigen Schuhen den Strand abschritt, ein US-amerikanischer Ex-Baseball-Profi, der hier, wenn auch als "Gringo" nicht gerade hoch geachtet, dennoch für einen Dollar pro Tag über die Runden kam. Er hatte immer gut gelebt, aber nie für sein Alter vorgesorgt... Noch ein paar Erinnerungsfetzen: ▪ Im Trainerraum, im Keller des Schwimm-Leistungs Zentrums in Müngersdorf, nachdem Rainer Henkel den so gut wie sicher "eingeplanten" Olympia Sieg über 1500 m Freistil in Seoul verpasst hatte, werde ich Dein Zorn verzerrtes Gesicht mit schmalen Lippen nicht vergessen: "Eine Million - E-I-N-E Million hat das gekostet!" ▪ Trinkgefäße leer zu trinken war nicht Deine Art - es blieb stets ein fürstlicher Rest darin zurück. ▪ Als Rekonvaleszent (Beinbruch?) hielt Dich nichts - mit Sicherheit nicht der Rat Deines Arztes - davon ab, Deine Sportler auf dem Klapprad beim Waldlauf um Jahnwiese und Adenauerweiher herum kontrollierend zu begleiten. ▪ Verlieren war generell nicht Dein Ding, auch nicht beim Skat, das mit Deiner Beteiligung grundsätzlich um Geld gespielt wurde. ▪ Mein erster überraschter Eindruck von Dir im Sülzer Bad: Du sitzt, in Papiere vertieft, während die Aktiven (ich glaube Studenten der Sporthochschule/Uni?) pausenlos schwimmen, schwimmen, schwimmen... Es ist nun lang genug her, daher sollte es am Ende nicht ungesagt bleiben - immerhin wirst Du mit Deiner Entgegnung warten müssen, bis wir uns einmal wieder auf der selben Seite des Weges treffen werden: ▪ Als ich Deinem Beispiel folgte, und ebenfalls mit dem täglichen Frühtraining begann, habe ich einen wichtigen Punkt verpasst: Nein zu sagen, nicht persönlich mitzumachen bei einer zwar unaufhaltbaren, dennoch - auch und gerade mit dem zeitlichen Abstand von heute - persönlich nach wie vor als inhuman eingeschätzten Entwicklung im Spitzensport. Der Anfang in den Sechziger Jahren: Zwei bis drei Trainingseinheiten, maximal sechs pro Woche und mit den Leistungen zufrieden sein, die damit möglich sind. Das wäre es gewesen. Klar, nichts korrumpiert mehr als der Erfolg. Anerkennung und Lob Vieler verscheuchen auch die heiligsten Vorsätze, NIE im Leben das "Aller-Schlimmste" tun zu wollen. Das kann kein Vorwurf an Dich sein. Dein Leben begann mit einem Trommelfeuer bestärkender öffentlicher Zuwendung. Du warst ein Star, in aller Munde von Presse und Politik. Und Du warst zu den Zeiten noch nicht einmal volljährig. Einem solchen Druck standzuhalten, ist nicht jedem gelungen. Du hast ihn umgesetzt in mitreißende Energien und wurdest vom erfolgreichen aktiven Sportler zu einem, der andere als Trainer dazu motivieren konnte. Das ist auch nicht alltäglich. Mit den Erfolgen der von Dir betreuten Aktiven konntest Du lange Jahre den hohen Kesseldruck von Erwartungen aufrechterhalten und aushalten, wie es nun mal wohl von prominenten Personen der Zeitgeschichte verlangt wird. So hast Du in meinen Augen - nach 1991, nach meinem Ausstieg aus dem Schwimmsport, habe ich Dich vom Radar verloren - diese schwierige Lebensaufgabe mit Anstand gemeistert. Das ist mit Sicherheit mehr Wert, als jede Olympische Silber Medaille. Von einer Goldenen müssen wir ja garnicht reden. Die hast Du in Deiner Familie und dem himmlischen Hotel an einer himmlischen Ecke dieser Erde. Alle Menschen, die Dich lieben, haben mein Mitgefühl. Sie müssen weiterleben. Ich danke Dir, dass ich Dich eine Zeit lang begleiten durfte. Wir sehen uns wieder! Karlheinz Damerow
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