Ulrich Raulff (Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar)
461 Seiten; 29,95 €


Das längst überfällige Buch über die ganz besondere, gemeinsame Geschichte von Menschen und Pferden. Geschrieben von einem, der nicht nur Historiker, sondern vor allem auch ein bekennender Liebhaber der Pferde ist. Hier eine kleine Textprobe von den ersten Seiten:

DER LANGE ABSCHIED

"Abgesehen von einigen Vorreitern der Mechanisierung auf dem Land ... waren Pferde, schwere belgische Kaltblüter, starke Trakehner und stämmige Haflinger, immer noch das am weitesten verbreitete und am meisten gebrauchte Transport- und Zuggerät auf den schmalen, gewundenen Straßen wie an den Abhängen der Felder und in den Schluchten der Wälder. Über den Winterbildern meiner Erinnerung steht der Dampf ihres Atems und ihrer erhitzten Flanken, über den Sommerbildern liegt der Duft ihrer braunen Felle und hellen Mähnen. Immer noch spüre ich das Entsetzen, mit dem ich zusah, wie ihnen beim Beschlagen vierkantige Eisennägel in das, was ich für ihre Fußsohlen hielt, getrieben wurden. Szenen solcher Drastik hatte ich bis dahin nur in Kirchen, auf Bildern der Passion Christi erblickt...

In den Ställen der Bauern, die noch von den Erträgen des Landes lebten und ihre bescheidene Wirtschaft nicht gegen einen Arbeitsplatz in der Fabrik eingetauscht hatten, nahmen die Boxen der Pferde den kleineren, aber noblen Teil ein. Die Kühe, Rinder, Kälber, Schweine und Hühner machten sich breiter, sie stanken heftiger und führten das große Wort, sie waren, mit einem Wort, die Plebs im Stall; Die Pferde waren selten, kostbar und wohlriechend, sie aßen manierlich und litten spektakulärer, besonders ihre Koliken waren gefürchtet. Wie lebendige Skulpturen standen sie in ihren Verschlägen, nickten mit den schönen Köpfen und signalisierten mit ihren Ohren Misstrauen oder Verdacht... Kein Bauer wäre auf die Idee gekommen, die Weide der Pferde mit Stacheldraht zu umgeben, hinter dem sich vor allem Schafe nicht selten fanden. Bei den Pferden genügte ein bisschen Holz oder ein leichter Elektrozaun. Aristokraten sperrt man nicht ein, man erinnert sie an ihr Ehrenwort, auf Flucht zu verzichten.

Ich sehe uns, meinen Großvater und mich, an einem Tag Mitte der Fünfziger auf einer Anhöhe stehen, von der sich unser Hof, das umliegende Land und sogar ein Stück des fernen Laubwaldes, durch den sich eine schmale Straße den Berg hinaufwand, überblicken ließ. Seit einer Weile war die Stille über der ländlichen Einsamkeit zerrissen von etwas, das wie eine bucklige Ameise aussah, die sich langsam und geräuschvoll den Berg hinauf quälte. Im Näherkommen gab sich die Ameise als der altertümliche Mercedes Diesel eines meiner Onkel zu erkennen. Mit olympischer Gravität näherte sich der schwere Wagen.

Mein Großvater machte eine abschätzige Bemerkung über den Diesel, in der das Wort Dreschkasten vorkam, und sah mit wachsender Skepsis zu, wie mein Cousin, der Mann am Volant, den festen Weg verließ und quer über das Weideland direkt auf uns zusteuerte. Schon nach wenigen Metern auf dem feuchten Gras verlor er die Kontrolle über sein Gefährt. Der Wagen brach seitlich aus, kam ins Gleiten und verwickelte sich in den Elektrozaun, der die Pferdeweide umgab, bis er endlich, von einer dunkelblauen Wolke umgeben, vor einem Baumstumpf zum Stehen kam. Unter der abziehenden Wolke kam der Olympier zum Vorschein, der jetzt seine Blitze nach innen schleuderte: Der Gefangene des Elektrozauns hatte sich in einer Art umgekehrten Faradayschen Käfig verwandelt, der über die zahlreichen Eisenteile jeden Stromstoß an seine Insassen weitergab.

Nachdem alle Versuche zur Selbstbefreiung von Fahrer und Wagen fehlgeschlagen waren, betrat als Nothelfer ein schwerer belgischer Kaltblüter die Szene. Vor die hintere Stoßstange des Diesel gespannt, zog er mit den Bärenkräften eines gutmütigen Riesen das havarierte Automobil auf festen Grund zurück. Jeder(?) kennt das Bild von William Turner, auf dem ein qualmender Dampfschlepper ein stolzes Kriegsschiff unter gerefften Segeln, die Fighting Temeraire, zu ihrer letzten Anlegestelle im Abwrackdock schleppt.

In unserem Fall hatte das Schicksal, ironisch wie so oft, noch einmal das historische Blatt gewendet: Hier war es der Gaul, das von der Geschichte pensionierte Schlachtross, das jetzt das Auto zog: Noch einmal legte die alte Welt sich für die neue ins Geschirr."

Seiten 8, 10

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Hier noch ein feiner Beitrag von SWR Kunscht mit Ulrich Raulff bei einem Besuch auf dem Haupt- und Landgestüt Marbach.

Und hier eine Buchkritik auf HR 2 Kultur.

Sternstunde Philosophie,
11. Dezember 2016,
ein Gespräch von Juri Steiner mit Ulrich Raulff:
Der lange Abschied vom Pferd

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Das Beste, was Pferde dem Menschen geben können, das geben sie ihm freiwillig, das geben sie ihm aus Freundschaft, das geben sie ihm aus Liebe, nicht auf Kommando.
(Erfahrung alter Kavalleristen - Ulrich Raulff)

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