•••BLÖÖK
17. Januar 2018


Ein Jahr Trump-Gezwitscher:
"Ich bin die Stimme der
wahren US-Amerikaner"
"Ich zerstöre Politik"
"Ich beende die Demokratie"...

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Exzerpt des Artikels:
Ohne Zukunft
„Trump will die Politik zerstören“:
Der us-amerikanische Historiker
Timothy Snyder über das erste Jahr
einer bizarren Präsidentschaft
Süddeutsche Zeitung, 16. Januar 2018,
INTERVIEW VON SACHA BATTHYANY

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Timothy Snyder:

Professor für Osteuropäische Geschichte und Holocaustforschung in Yale. In seinem Buch, „Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand“, zieht er nach einem Jahr Trump eine niederschmetternde Bilanz.

Normaler Weise ist Politik der tägliche Versuch und das tägliche Scheitern, die Zukunft zu gestalten und Probleme anzugehen. Dieser Präsident ist weder an der Zukunft, noch an Amerika oder daran interessiert, Probleme zu lösen. Er wacht frühmorgens auf und versucht, Kämpfe anzuzetteln. Mit seinen Scheinproblemen und Pseudokonflikten will er die Bevölkerung ablenken. Der rote Faden in seinem ersten Jahr ist: Von Politik will er nichts wissen. Er will die Politik zerstören.

So gab Trump im Dezember von sich, man dürfe sich in den USA nicht mehr „schöne Weihnachten“ wünschen. Das sei Teil einer grassierenden politischen Korrektheit. In Wirklichkeit seien die christlichen Werte im Niedergang, weil eine beängstigend zunehmende „Muslimisierung“ stattfinde. Eine reine, durch nichts belegte Behauptung, die aber Emotionen schürt und seinen Unterstützern das Gefühl gibt, recht zu haben in ihrer Opferhaltung. „Die da draußen jagen nach Euch. Sie haben eine andere Meinung als Ihr. Darum sind es Eure Feinde. Sie wollen um jeden Preis verhindern, dass Ihr an die Macht kommt.“ Trump geht es nicht um Inhalte, nur um Gut und Böse, nur um dafür und dagegen, die einen gegen die anderen aufzuwiegeln. Die extreme Spaltung in diesem Land nützt nur einem – Donald Trump. Und er wird einen Teufel tun, sie zu lindern. Trump will die Demokratie schwächen. Am Ende des Weges, den er einschlägt, steht das Ende der Demokratie.

Einen Rechtsstaat aufzubauen ist schwierig und eine lange Angelegenheit – ihn zu zerstören ist sehr einfach. Das lehrt die Geschichte. Trump tritt die Institutionen mit Füßen. In den USA hat man sich schon daran gewöhnt, dass sich unser Präsident mit Richtern anlegt, nur weil sie mexikanischen Ursprungs sind. Wir finden es normal, dass er die Einmischung Russlands in die Wahlen als Nichtigkeit herunterspielt und die Arbeit seiner eigenen Geheimdienste anzweifelt. Warum beschäftigen wir uns so obsessiv mit den Wahlen: Weil das FBI wöchentlich neue Erkenntnisse über die Russland-Affäre ans Tageslicht befördert, die den Präsidenten zunehmend in eine schwierige Lage bringen.

Natürlich sind die USA eine Demokratie, aber sie muss geschützt werden. Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen geboren sind, kennen nichts anderes als Frieden, Wohlstand und Freiheit. Viele glauben, es gehe immer so weiter. Wer mir Alarmismus vorwirft, wenn ich von Tyrannei schreibe, dem sage ich: Wacht auf und schaut aus dem Fenster. Da sieht man die große ökonomische Ungleichheit, die in diesem Land herrscht und die sich auf die Demokratie auswirkt. Seit der Großen Depression 1929 war der Reichtum in diesem Land nicht mehr so ungleich verteilt. Das einzige Land, das in dieser Statistik noch vor uns liegt, ist Russland. Trump hat kein Interesse daran, dies zu beheben. Im Gegenteil. Mit seiner Steuerreform wird er den Unterschied zwischen Arm und Reich noch vergrößern. Und nicht nur das: Die Reform wird die Krankenversicherung angreifen, und weil das Defizit steigt, werden die Republikaner irgendwann behaupten, auch andere Sozialversicherungen abschaffen zu müssen. 

Irgendwann werden wir einen Punkt erreichen, wo Demokratie tatsächlich keinen Sinn mehr ergibt. Für niemanden. Die Menschen am unteren Rand werden denken, es bringe eh nichts mehr, und sie werden sich in ihrer Wut und Politikverdrossenheit wälzen. Die Menschen ganz oben brauchen die Demokratie nicht mehr, weil sie in anderen Sphären leben.

In der Frage, auf welche Zeit sich Trump historisch bezieht, wenn er davon spricht, US-Amerika wieder groß zu machen, liegt eine große Tragik. Denn die US-Amerikaner denken bei diesem Satz an die Fünfziger- bis Achtzigerjahre, die Zeit ihrer Kindheit und Jugend. Eine Periode, in der die soziale Ungleichheit abnahm, die Qualität der öffentlichen Schulen intakt war. Es war eine Zeit der starken Gewerkschaften. Trump belässt die Menschen in diesem Irrglauben, tatsächlich aber bewirkt er das Gegenteil jener Zeit: Er zerschlägt Gewerkschaften und vergrößert die Ungleichheit.

Wann seine Anhänger bemerken werden, dass Trump gar nicht an einer politischen Problemlösung interessiert ist, hängt davon ab, was alles geschieht auf der Welt. Ich warte seit dem ersten Tag darauf, dass er eine Terrorattacke oder ein sonstiges katastrophales Ereignis für seine „Zwecke“ nutzt. Nur mit dem Terrorismus ist das so eine Sache. Denn die häufigste Form von Terrorismus geschieht im Inland. Die meisten US-Amerikaner haben islamistische Gotteskrieger im Kopf, wenn sie an Terror denken. Dabei erschießt jede Woche ein US-Amerikaner einen anderen US-Amerikaner. Das ist zwar auch Terrorismus, nur kann Trump damit nichts anfangen, weil er als republikanischer Präsident das Waffentragen verteidigen muss. Es muss fremdländisch sein, damit es Trump in die Hände spielt.

Seit Donald Trump an der Macht ist, hat sich das Bild US-Amerikas verändert. Es hat keine Außenpolitik, weil Trump das Außenministerium schwächt. Er hat das Budget kürzen lassen, die meisten Topdiplomaten sind zurückgetreten. Aber ohne Diplomaten kann man in der Welt nicht funktionieren. Auch ökonomisch gibt das keinen Sinn. Jemand muss doch unsere Interessen vertreten. Trump behauptet zwar, wie stark und wie toll US-Amerika sei. Aber aus der Perspektive von Ländern wie Neuseeland oder Australien, Vietnam oder Südkorea sieht das ganz anders aus: Die schauen täglich darauf, was China macht.

US-Amerikaner denken gerne, dass sie eine außergewöhnliche Nation seien. Wir denken, Freiheit und Demokratie seien in unserer DNA, doch wir leben nicht außerhalb der Geschichte. Mit dem ersten Satz meines Buches: „Geschichte wiederholt sich nicht, aber wir können aus ihr lernen“ und mit dem Vergleich mit den Dreißigerjahren in Deutschland, möchte ich aufzeigen, dass vor uns schon kluge Menschen gescheitert sind. Dass Demokratien – wie in Deutschland – untergehen können und Menschen ihre Rechte verlieren. Dieser us-amerikanische Exzeptionalismus stört mich. Wenn wir so speziell sind, wie unsere Politiker immer behaupten, führt das in eine Apathie und einen Rückzug ins Private, der fatal ist, weil wir dann zu Herdentieren werden. Dagegen schreibe ich an.

Ich vergleiche nicht Trump mit Hitler. Ich behaupte auch nicht, dass wir in denselben Zeiten wie denen des Nationalsozialismus‘ leben. Ich sage, man darf Geschichte nicht ignorieren. Es gibt nicht nur diese zwei Optionen, entweder Holocaust oder totale Freiheit. Faschismus heißt nicht zwangsläufig Hakenkreuze und sechs Millionen tote Juden. Der Vergleich mit Hitler allein ist tatsächlich unsinnig, weil wir nichts daraus lernen. Aber darauf hinzuweisen, dass Hitler sagte: „Ich bin Eure Stimme“, und Trump denselben Satz in seiner Parteitagsrede hielt, halte ich für wichtig. Als Hitler vom Volk sprach, meinte er auch nicht alle Menschen, sondern die, die Trump heute „the real people“ nennt, die wahren US-Amerikaner. Solche Signale sind wichtig. Es macht auch Sinn, auf die Behandlung der Muslime heute hinzuweisen und sie mit jener der Juden zu vergleichen, einer ungefährlichen und integrierten Minderheit, die man damals für eine globale Bedrohung hielt. Was die Juden 1930 waren, sind heute die Muslime.

Ob Trump ein Faschist ist?
Trump mag ein Psychopath
 sein, ein Narzisst, Oligarch oder Kleptokrat, es mag alles zutreffen, aber die Bezeichnungen alleine bedeuten nichts. Man muss schon genauer hinsehen. Faschisten in der Vergangenheit hatten Jugendgruppen, sie haben die Menschen aktiviert, auf die Straße zu gehen, und sie haben sich großer Mythen bedient. Trump tut das alles nicht. Er schafft keine Mythen. Und doch gibt es Ähnlichkeiten zu Faschisten: Die Opferhaltung und die Mär, US-Amerika, das mächtigste Land der Welt, werde von allen ausgebeutet. Zudem zeigt Trump klar rassistische Züge. Wenn er sagt, NFL-Athleten seien Hurensöhne, dann meint er natürlich afro-us-amerikanische Athleten. Wenn es zwei Hurrikans gibt, einen in Texas und einen in Puerto Rico, dann sagt er, die Bevölkerung Puerto Ricos müsste alleine klarkommen. Er sagt nicht, das sind alles faule, spanischsprachige Dumpfbacken, aber es steckt zwischen den Zeilen. Es gibt eine Art Hintergrundrauschen in Trumps erstem Jahr – und dieses Rauschen ist klar rassistisch.

Ich habe mein Buch eine Woche nach Trumps Wahlsieg geschrieben, wie ich es damals für richtig hielt. Ich wollte nicht einfach dasitzen und Trübsal blasen. Sonst hätte ich mich hilflos gefühlt bei diesem ganzen Zwitscher-Bombardement des Präsidenten und dieser Dauerempörung.

Den vielen liberalen US-Amerikanern, die auch dieses Gefühl haben, empfehle ich: Kauft ein Abonnement einer großen Zeitung, der Washington Post oder der New York Times. Wir befinden uns in einer Hochphase des investigativen Journalismus. Das meiste, was wir über Trump wissen und was wirklich relevant ist, wissen wir dank Journalisten, die im Moment die Möglichkeit haben, Geschichte zu schreiben. Vor allem die Zeitungen haben in einen Kampfmodus gewechselt, aber nicht auf der Ebene der Gesinnung, das wäre langweilig. Sondern auf der Ebene der Fakten und des Wahrheitsgehalts.

Es ist nicht die Frage, entweder auf das Aufmerksamkeits-Spiel von Donald Trump hereinzufallen, oder aber ihn zu ignorieren. Es geht weniger um das Maß, sondern um die Art und Weise, wie man über ihn berichtet: Journalisten sollten bei den Fakten bleiben und aufhören, zu spekulieren oder in Leitartikeln die Welt zu erklären. Die tatsächliche Gefahr, bei Trump in eine Falle zu treten, entsteht, weil er ein fiktionaler Charakter  ist. Wir aber versuchen ihn immer wieder erfolglos mit der Realität zu messen. Wir haben es hier mit einem Genre Problem zu tun.

Herr Trump ist ja nicht einmal ein erfolgreicher Geschäftsmann, er spielte nur einen Geschäftsmann in einer us-amerikanischen Fernsehshow. Das hat ihn damals schon immun gemacht gegen Angriffe, weil er ja im Grunde immer nur eine Rolle spielte und deshalb sagen durfte, was er wollte: Es war alles nur Show. Ähnlich agierte er während der Wahlen. Er hat sich Dinge erlaubt, die für die anderen Kandidaten den Untergang bedeutet hätten, weil Trump den fiktionalen Raum erweitert und die reale Welt so weit wie möglich verdrängt, bis er unantastbar wird. Wir Journalisten und Historiker aber sind Vertreter der Realität. Wir verorten Trump in einer faktenbasierten Welt, halten ihm Lügen und Fehlverhalten unter die Nase, doch es perlt ab, weil er schon wieder den nächsten Skandal provoziert. Das Internet hilft ihm dabei, weil es die Dinge beschleunigt und unsere Aufmerksamkeit in kleine Happen zerlegt. Ich glaube, Historiker werden in der Zukunft Mühe haben zu verstehen, warum wir, die wir das alles erleben, seine Zwitschereien so obsessiv verfolgten und uns ablenken ließen, statt uns auf die großen Zusammenhänge zu konzentrieren.

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