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30.1.2018


Gertrude Pressburger:
Wir brauchen alle ein Gespür dafür, welch zerbrechliches und kostbares Gut der Frieden ist!

Schon vor der Wahl des Österreichischen Bundespräsidenten hatte sich die Holocaust-Überlebende Gertrude Pressburger in einem millionenfach aufgerufenen Video gegen Parolen der Rechtspopulisten eingesetzt. Nachdem Hans-Christian Strache, Vorsitzender der FPÖ und inzwischen Vizekanzler in Wien, nach wie vor einen Bürgerkrieg für nicht unwahrscheinlich hält, sah sich die 90-jährige noch einmal zu öffentlichem Widerspruch gezwungen. Sie möchte vor allem junge Menschen gegen den Gedanken aufrütteln, Österreicher könnten ihre politischen Vorstellungen mit Waffengewalt gegen Österreicher durchsetzen wollen.

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Exzerpt des Artikels
Frau Gertrude mischt sich ein
Süddeutsche Zeitung
26. Januar 2018
VON PETER MÜNCH


Mit dem Wort „Bürgerkrieg“ aus dem Mund eines rechten Politikers heute, kamen für Gertrude Pressburger die Bilder von Wien 1934 wieder: Schüsse in den Straßen, und „ein junger Mann und eine junge Frau lagen tot auf dem Boden." Eine freundliche Dame, 90, mit schlohweißem Haar, Holocaust-Überlebende, wollte nie über ihr Leben sprechen. Nun aber tut sie es, aus dem einzigen Grund: "Es braut sich rundherum wieder so viel zusammen, nicht nur in Österreich."

Auf Straches Bürgerkriegsgerede im Bundespräsidentenwahlkampf 2016 hatte sie mit einem Video reagiert. Eindringlich warnte sie darin vor extremer Rhetorik und einer Verrohung der Sprache, die "nur das Niedrigste aus den Leuten herausholt, nicht das Anständige". Viele meinten, dass ihr Video dazu beigetragen habe, dass nicht der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer, sondern der Grüne Van der Bellen die Stichwahl gewann.

In zeitlicher Nähe zur Beteiligung der rechtspopulistischen FPÖ an der Regierung, hat Gertrude Pressburger nun ihre Erinnerungen zusammengefasst und als Buch veröffentlicht. "Gelebt, erlebt, überlebt", heißt es, aufgezeichnet von Marlene Groihofer. Jahrgang 1927 ist die eine, 1989 die andere, wie Oma und Enkelin. Viele schmerzhafte Erinnerungen, teilweise tief abgelegt, verschüttet, verdrängt, sind Gertrude Pessburger dabei wieder hochgekommen. Die ersten Toten 1934 in den Straßen. Der Aufmarsch der Nazis nach dem "Anschluss" Österreichs 1938 an das Deutsche Reich. Ihre Verfolgung, auch durch ihre Nachbarn, wegen ihrer jüdischen Wurzeln. Flucht über Kroatien, Slowenien nach Italien. Dann doch Deportation nach Auschwitz. Ihre Eltern und beide Brüder hat sie nie wiedergesehen.

Ihr Überleben als einzige aus ihrer Familie und ihr Weiterleben ist eine Geschichte durch alle Abgründe des 20. Jahrhunderts. Nach dem Krieg nach Wien zurückgekehrt, empfand sie die Heimat als "Feindesland". Bis heute meidet sie die Straßen ihrer Kindheit. Einen Satz aber hämmerte sie sich ein: "Du hast überlebt, also leb'." Sie arbeitete, heiratete, zog ihre Tochter groß. Wegen der KZ-Häftlingsnummer auf ihrem Arm angesprochen, sagte sie: "Meine Telefonnummer." Irgendwann ließ sie die Tätowierung entfernen.

Das Erlebte verhärtete sich in ihrer Brust. „Zu einem Stein, den ich bis heute spüren kann“, sagt sie. Ihrem Mann erzählte sie nur, dass sie in Auschwitz war. In 40 Jahren hat er nicht einmal nachgefragt. Es war eine gute Ehe. Erst spät gelang es ihr, sich wenigstens ihrer Tochter zu öffnen. Alles nur für ein Ziel: "Ich möchte ein normales Leben führen." Und dann kommt Strache mit dem "Bürgerkrieg".

Der Schreck sitzt so tief, die Angst vor den alten Geistern wird so präsent, dass Gertrude Pressburger nur einen Weg findet, damit umzugehen: Sie spricht darüber. "Ich bin nicht zurückgekommen, um dasselbe noch einmal zu erleben", sagt sie. "Dieses Mal wird es kein Hitler sein, der da kommt. Aber irgendjemand anderer, der den Unmut der Menschen ausnutzt, irgendjemand anderer, auf den zu viele hereinfallen."

Sie will die Politiker und die Menschen ermahnen und aufrütteln. Sie will "ein Gespür dafür vermitteln, welch zerbrechliches und kostbares Gut der Frieden ist".

Aushalten muss sie aber auch, dass auf das Video zum Präsidentschafts-Wahlkampf furchtbare, hässliche Reaktionen gekommen sind. "Eine zu wenig, die vergast wurde", hieß es da - kriminell und offenbar ungeahndet?!

Viele aber haben sich bedankt bei ihr. Das war die Ermutigung für das Buch.

Am 30. Januar 2018 wird es öffentlich vorgestellt, in der Wiener Hofburg. Österreichs Bundespräsident Van der Bellen lädt dazu ein. Gertrude Pressburger hat nun ein Vermächtnis hinterlassen. Sie hat ihr Schweigen über ihre Lebensgeschichte gebrochen.

"Wenn es für die Jungen etwas bewirkt, dann war es das wert", meint sie. "Sie sollen die Augen offen halten und die Ohren. Sie sollen hinhorchen, was einer sagt, und überlegen, was dahinterstecken kann."

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