•••BLÖÖK
23.06.2018


"Der jungen Garde geht es vor allem um sich selbst"

Würde ORF 1 irgendwann privatisiert werden, so wären wir wohl weg.

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Süddeutsche Zeitung
19. Juni 2018
INTERVIEW VON MARTIN ZIPS
MIT DIRK STERMANN

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Der deutsche Kabarettist Dirk Stermann, 52, seit 28 Jahren in Österreich Radio-, TV- und Bühnen-Entertainer, über Sebastian Kurz: "Hauptsache, er trägt einen Slimfit*)-Anzug". Ein Gespräch über die neue Humorlosigkeit in seiner alten Heimat und warum junge Österreicher den Nationalismus beschwören. *) Aktuelle Herrenmode: Strichmännchen im Kommunionsanzug mit Hochwasserhosen, Marke abgedrehte Wurst.

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MARTIN ZIPS, SZ: Wie nehmen Sie Deutschland derzeit wahr?

DIRK STERMANN: Als völlig zerrissen. Ganz unangenehm. Dieses Seehofer-Merkel-Dilemma. Oder Gauland. Ein Wahnsinn.

Wie kam es zu diesem Wahnsinn?

Ich empfand bereits die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 als Einschnitt. Meinen Freunden in Wien habe ich damals erklärt, dass das Deutsche-Fahnen-Geschwenke nichts Nationalistisches habe, sondern mehr so ein Party-Gefühl sei. Mittlerweile erscheint es mir allerdings so, als habe sich eine eher ostdeutsche, provinzielle Weltsicht über das ganze Land gelegt. Eine Mischung aus Humorlosigkeit und Intellektlosigkeit.

Fack ju Göhte, sozusagen.

Und wie sieht es derzeit mit Österreich aus?

Nicht anders. Dass Sebastian Kurz weder über ein abgeschlossenes Studium noch über eine Berufsausbildung jenseits der Politik verfügt – das interessiert offenbar niemanden mehr.

Hauptsache, er trägt einen Slimfit-Anzug.

Ich bemerke einen schrecklichen Mangel an echten Wertkonservativen. Der jungen Garde geht es vor allem um sich selbst. Sie möchte alles umkrempeln und beschwört dafür den Nationalismus.

Schon, um endlich die Alt-Achtundsechziger abzulösen.
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Was hat sich für Sie als Kabarettist unter der Regierung Strache/Kurz verändert?

Da schwebt immer so was im Raum. Die Burschenschaftler, die der Haider einst noch draußen gehalten hat, sitzen jetzt überall fett drin. In unserer Satire-Sendung „Willkommen Österreich“ sind wir deshalb dazu übergegangen, jeden, der in der Regierung ist, prinzipiell einmal ganz großartig zu finden – bevor wir ihn dann vielleicht inhaltlich kritisieren. Das ist eine gute Strategie. Aber ich habe keine Ahnung, wie lange wir das noch machen dürfen. Würde ORF 1 irgendwann privatisiert werden, so wären wir wohl weg.

Wie realistisch ist das?

Man wird sehen. Ein FPÖ-Landesrat aus Oberösterreicch hat kürzlich bei der AfD in Thüringen unter großem Applaus gesagt, dass man den ORF zerschlagen müsse, weil er Ostblock-Fernsehen mache. Aber es gibt schon auch einige ÖVPler hier, die sich ganz gerne in den Regionalnachrichten sehen – und über die Fernsehgebühren Geld für ihr Bundesland einnehmen.
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Sebastian Kurz empfängt Putin, fühlt sich von Merkel abgehört und beschwört die „Achse der Willigen“.

Das erinnert an „Koalition der Willigen“, einen Begriff, mit dem das Pentagon (Kriegs-Ministerium der USA) die Menschen auf den Irakkrieg vorbereitete.

Wo sind die jungen Leute, die dagegen aufstehen? Man überlässt es immer nur den Alten, wie dem angesehenen Schriftsteller Michael Köhlmeier. Der hat jüngst auf einer Gedenkveranstaltung ÖVP und FPÖ wegen ihrer Asylpolitik heftig kritisiert und darauf hingewiesen, dass auch schon im Zweiten Weltkrieg die Fluchtrouten geschlossen wurden. Das war ein absolut richtiger Hinweis.

Aber dann behauptete man bei den Regierungsparteien, Köhlmeier habe in seiner Rede sachliche Fehler gemacht. Die wurden als künstlerische Freiheit etikettiert und sich selbst lobte man, wie toll es doch war, „ihm erlaubt zu haben“, dort zu reden.
(Ja, ja, großzügig sind sie, diese hemmungslosen verbalen Trickser. „Wissen Sie, wir sind bescheiden!“, Alois Schicklgruber)

Auf die Political Correctness wurde doch tatsächlich noch nie mehr geachtet als heute.

Political Correctness ist eine Idee der Linken und vieles daran ist gut und richtig. Die Diskussionen darum kommen mittlerweile letztlich Populisten zugute. (Der Terrorist Anders Behring Breivik leitete sein Manifest 2083 mit einem Aufruf zum Kampf gegen „politische Korrektheit“ ein, die er als Ausdruck eines Kulturmarxismus sah.)

Was wünschen Sie sich?

Es ist mir schon wichtig, dass meine Nachbarn keine aggressiven Dummköpfe sind, die den anderen hassen, nur weil der einen anderen Blumentopf hat. Früher konnte ich noch einschätzen, wohin sich die Welt entwickelt. Aber mittlerweile kann ich das nicht mehr. Dafür bin ich zu analog.

Keine Hoffnung also?

Bei mir ums Eck steht so eine schöne Kirche mit einem jungen norditalienischen Mönch als Pfarrer. Ich bin weder katholisch noch gläubig, aber mit dem Mann kann man ausgezeichnet reden. Der spricht, raucht und hat zwar ein Händy, benutzt es aber selten. Ein ungewöhnlicher Mensch, der sich auch für das interessiert, was andere sagen. Jüngst meinte ich zu ihm: „Du, ich hab grad’ ne Krise. Vielleicht sollte ich doch an Gott glauben“. Er antwortete: „Nee, das ist nichts für dich. Glaube ist nur was für schwache Leute.“

So einer gibt mir Kraft weiterzumachen.

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