•••BLÖÖK
19. 04. 2019


Die Internetkritikerin ANGELA NAGLE

Soziale Medien sind ein furchtbares Gift.
Das Internet beschleunigt generell unseren gesellschaftlichen Kollaps in Richtung  Dummheit und Grausamkeit.

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INTERVIEW von SIMON RAYSS
mit der Internetkritikerin
ANGELA NAGLE
über die rechte Netzavantgarde und die beiläufige Grausamkeit der sozialen Medien
Süddeutsche Zeitung, 28. März 2019

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ANGELA NAGLE, geboren
1984 in Dublin, lebt in
New York und schreibt
für Magazine wie The
Atlantic
oder The Baffler.
Die englische Originalaus-
gabe ihres Buchs „Die
digitale Gegenrevolution“
hieß „Kill all Normies“.
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SIMON RAYSS:
Der Täter des
Massakers von Christchurch hat seine Pläne im Online-Forum 8chan angekündigt, das für die rassistischen und misogynen (Frauen hassende, Männer überhöhende) Äußerungen seiner Nutzer bekannt ist. Die Morde streamte er live auf Facebook, wobei ihn 8chan-Juuser feierten und anfeuerten.
Welche Rolle spielt die digitale Resonanz
für solche Täter?
 

ANGELA NAGLE:
8chan und der Vorgänger 4chan sind schon seit Jahren Räume für tabuisierte Ideen. Die dort ausgelebte Mischung aus Ironie, Anonymität und Grenzüberschreitung ermutigt zu einem intensiven Austausch von Gehässigkeiten, von Demütigungen und selbst von Gewaltfantasien. Aber da der Mix gleichzeitig auch hochgradig ironisch daherkommt, bleibt unklar, welcher Juuser welche Äußerungen tatsächlich ernst meint. (Wahrscheinlicher ist wohl, dass viele gar nicht wissen, was sie meinen, wenn sie möglichst provozierend - Kommedie machts vor - um sich kotzen; was allerdings - hin wie her - strafbar ist und unbedingt verfolgt werden sollte)

Unsere Leben spielen sich mittlerweile eben online ab, früher oder später wird alles darin eine digitale Form annehmen, auch unsere Gewalt.

In Ihrem Buch beschreiben Sie ähnliche Fälle aus der Vergangenheit, in denen Mörder mit ihren Taten online prahlten, bevor sie sie in die Tat umsetzten. Sind digitale Parallelgesellschaften eine existenzielle gesellschaftliche Gefahr?

Nein, die Online-Räume für sich genommen sind nicht existenziell gefährlich für unsere Gesellschaft als Ganzes. Aber sie sind Teil des Internets, das generell unseren gesellschaftlichen Kollaps in Richtung Dummheit und Grausamkeit beschleunigt. Sehen Sie sich Twitter an, eine Mainstream-Plattform! Sie hat zur Folge, dass die meisten User „im wahren Leben“ passiver werden, während sie online kaltherziger agieren. Killer, wie der in Christchurch, gehören da zu den eher seltenen Fällen, in denen sich das Verdrängte Bahn bricht. All die gesellschaftlichen Ängste und Tabus, die nicht offen diskutiert werden können, drängen übers Internet an die Oberfläche.

Könnten Massaker wie in Christchurch durch eine schärfere Kontrolle von Online-Foren wie 8chan verhindert werden?

Gewalt, verbunden mit der Idee ethnischer Vorherrschaft, ist viel älter als das Internet. Ein Massaker wie das in Christchurch berührt aber natürlich ganz aktuelle Fragen, denen sich zu wenige ernsthaft stellen wollen.

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„Natürlich gären all die
tabuisierten Themen
in Netz vor sich hin.“

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Wie schaffen wir es etwa, die multikulturellen und multiethnischen Gesellschaften, die wir geschaffen haben, in friedliche Gemeinschaften zu verwandeln? Und bei dieser Frage geht es nur am Rande ums Internet. Natürlich gären all die tabuisierten Themen im Netz vor sich hin. Deswegen die Online-Welt zu zensieren, würde den eigentlichen Punkt völlig verfehlen.

Viele Internetnutzer trauen sich allerdings aus Angst vor Hasstiraden nicht mehr, im Netz ihre Meinung zu äußern. Wenn man Ihr Buch liest, bekommt man den Eindruck, Alt-Right kontrolliere den Online-Diskurs so, dass sie Donald Trump ins Weiße Haus verholfen hat?! Was kommt als nächstes?

Ich bin mir nicht sicher, ob das so stimmt. Viele einflussreiche Alt-Right-Protagonisten sind von wichtigen sozialen Medien ausgeschlossen worden, und ich vermute, dass das auch so weitergeht, bis sie ganz verschwunden sind.

Was wird von diesen Kämpfen bleiben?

Ich denke, dass sie die Welt schon in bestimmter Hinsicht verändert haben. Ihr Einfluss wird noch für lange Zeit spürbar bleiben. Sie haben weiße Identitätspolitik in den Mainstream-Diskurs gebracht, als Vorhut eines Feldzuges gegen die sogenannte politische Korrektheit. Es ist vermutlich das erste Mal seit der sexuellen Revolution, dass die Rechte in der Lage gewesen ist, sich als Avantgarde neu zu erfinden. Das ist ein gewaltiger Einschnitt.

Der ehemalige Trump-Berater Steve Bannon hat sich im Vorfeld der Europawahl für die Parteien des rechten Spektrums engagiert. Sollte uns das Sogen machen?

Es scheint, als wären Politiker wie Matteo Salvini und Marine LePen nicht allzu beeindruckt von ihm. Europa hat seine eigenen nationalistischen Bewegungen, die brauchen Bannons Hilfe nur bedingt. Ich denke, die Alt-Right ist im (us)amerikanischen Kontext wichtig – und vielleicht auch im brasilianischen -, weil diese sehr diversen Gesellschaften nicht so ethnisch verwurzelt sind wie jene in Europa.

Mit welchen Folgen?

Sie befinden sich im Hinblick auf ihre Identität in einem ständigen Aufruhr. Also gestaltet sich die Suche nach dieser Identität für sie gezwungenermaßen als kreativer und möglichst zeitgemäßer Akt. Die (us)amerikanische Rechte hat durch die Alt-Right gelernt, dass sie die Moderne umarmen muss, statt sich vor ihr zu verstecken, wie es traditionelle Konservative getan haben.

Wie kann man als Internet-Nutzer den Methoden der Alt-Right entgegenwirken?

Ich befürchte, dass wir uns zu sehr mit Methoden beschäftigen und so die grundlegenden Probleme aus dem Blick verlieren. Die vielleicht wichtigste Aufgabe ist, dass wir Arbeiten wie mein Buch nutzen, um die politische Ästhetik zu durchstoßen und festzustellen, was sich dahinter verbirgt. In meinem Buch geht es beispielsweise darum, wie viele Menschen die Alt-Right nicht haben kommen sehen. Sie dachten, das wären coole, provokante Hacker. Tatsächlich wollten viele Promis aus der Medien- und Geisteswelt sogar zu ihnen gehören. Auch unsere politische Sprache ist derzeit vollkommen durcheinander.

Inwiefern?

Wir leben im Schatten von 68 und glauben, dass kulturelle Libertinage links ist. Und wir sind davon überzeugt, dass eine Ästhetik des Ausgefallenen nur eine Domäne der Linken sein kann. Das macht aber keinen Sinn mehr. Um ernsthaft über Politik nachzudenken, müssen wir zurück zu den Grundlagen und fragen, worin unsere moralischen und sozialen Werte liegen.

In Deutschland bedient sich die AfD einer ähnlichen Masche, wie Sie sie bei der Alt-Right beschreiben: Durch gezielte Grenzüberschreitung verschiebt sie den Diskurs immer weiter nach rechts.

Ja, aber wir müssen unseren Fetisch für solche Grenzüberschreitungen überwinden. Sie sind im Kern vollkommen bedeutungslos. Fragen wir uns stattdessen einfach: „Ist eine bestimmte politische Leitlinie gut oder schlecht für die Gesellschaft?“ Ich blaube, dass uns das Internet noch anfälliger für die Ästhetisierung der Politik gemacht hat. Und anfälliger für Eitelkeit.

Wie meinen Sie das?

Ständig fragen wir uns: „In welchem Licht lässt es mich erscheinen, wenn ich diese oder jene Meinung vertrete? Verbessert es meine Social-Media-Marke?“ Wenn man provokant und abgründig rüberkommen will, verwandelt man sie in eine rechtsgerichtete, grenzüberschreitende Marke. Wenn man hingegen als tugendhaft gelten will, entscheidet man sich erkennbar für eine linke Marke. Die Unternehmen hinter den sozialen Medien verstehen diese ausgeprägten Eitelkeiten. Dabei steht doch viel mehr auf dem Spiel: Reale Leben und sogar das Schicksal ganzer Nationen. Da müssen wir einen besseren Weg finden.

Ist das der Grund, warum Sie inzwischen nicht mehr auf Facebook und Co. sind?

Die Sozialen Medien sind ein furchtbares Gift. Sie haben eine derart beiläufige Grausamkeit eingeschleppt, eine Manie, die so leicht zu manipulieren ist – das bereitet mir große Sorgen.

Wiegen die Gefahren des Internets momentan schwerer als seine Verdienste?

Ja, ich fürchte, wir sind mental einfach nicht stark genug, um dem zu widerstehen, was gerade im Netz passiert. Ich glaube, wir werden in einer Weise manipuliert, die wir noch nicht verstehen. Online kommen unsere ursprünglichsten Triebe zum Vorschein. Als hätten wir uns keinen Tag weiterentwickelt, seit wir öffentlichen Hinrichtungen und Kreuzigungen zujubelten.

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