Pferderecht 2014
Gute alte Kutschenzeit?


Wenn heute Besucher New Yorks ihre Kutschfahrt durch den Central Park als ein herausragendes Erlebnis bezeichnen, dann ist das für Kutschen-Gegner 2014 Ausdruck emotionaler Verblendung. Die zwei Drittel New Yorker Bürger, die laut Umfragen kein Verbot der Kutschen wollen, sind entsprechend Amok laufende Romantiker.

###

Wer sich - etwas weniger emotional aufgeladen - ein Bild macht von der Geschichte der Pferdekutschen im innerstädtischen Straßenverkehr, dem wird allerdings schnell klar, dass der Kutschenverkehr in Metropolen, zu mindestens in seiner Hochzeit, der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit "Romantik" nichts zu tun hatte.

Würden die Arbeits- und Lebensbedingungen der Kutschpferde in New York heute auch nur in Teilen denen ihrer Art- und Berufsgenossen im neunzehnten Jahrhundert entsprechen, dann wäre ein Verbot längst auch unter Menschen mit Sachverstand unstrittig und mehrheitsfähig.

###

Die folgenden Informationen stammen aus:
Pferde im Stadtverkehr,
von Helmut Meyer,
in: Pferdeheilkunde 21, 2005.

###

So lange Pferde als Transportmittel im Individual-, Massen- und Güterverkehr in Militär, Warenhandel und zuletzt in Land- und Forstwirtschaft alternativlos waren, bedienten sich die Menschen ihres Mit-Lebewesens ganz "selbstverständlich" und im wesentlichen nach den Regeln an Profit orientierten Händlern. So arbeiteten in New York, kurz nach 1900, also noch vor vier bis fünf Menschen-Generationen, ca. 130.000 Pferde, allein in städtischen Betrieben. In London waren es 300.000.

Je nach Einstellung des Betrachters duftet ein Pferd intensiv, oder stinkt nach Äpfeln (Kot), Darmgasen und Urin. Wenn es mit seinen Eisen-beschlagenen Hufen eisenbereifte Wagen über das Straßenplfaster bewegt, dann ist das sehr laut.

Das Verhalten eines Pferdes ist, auch bei enger Vertrautheit mit seinem Menschen, nicht absolut berechenbar und ist entsprechend im Straßenverkehr besonders sorgfältig zu beachten.

Ironischer Weise versprachen sich viele Stadtväter vom Auto, dass es ein Umwelt-freundlicheres, Risiko-ärmeres, weniger Lärm und Schmutz verursachendes Verkehrsmittel sein würde als das Pferd. Eine amerikanische Zeitschrift schwärmte gar 1903, das Auto sei die größte Gesundheit-fördernde Erfindung der letzten 1000 Jahre:
"Die Kubikmeter Luft, die während einer Autofahrt buchstäblich in einen hineingepumpt werden, beleben müde gewordene Nerven, vertreiben Sorgen, Schlaflosigkeit und Verdauungsstörungen."

Der Einsatz der Pferde im Zugdienst im Inneren der großen Städte begann meist im Alter von fünf bis sechs Jahren. Bis dahin wuchsen sie auf dem Land auf, wo sie für die Arbeit in der Stadt ausgebildet wurden.

Pferde erreichten, je nach Beschaffenheit der Straßenoberfläche, Zugleistungen von 500 bis 3.000 kg, auf Schienen bis zu 10.000 kg = 10 Tonnen.

"Pflastermüde" Pferde kamen – möglichst bevor sich bleibende Schäden an Sehnen und Gelenken einstellten – zeitweise wieder auf Weiden(!).

Die Nutzungsdauer der Pferde war nur kurz. In England blieben Pferde "im leichten, aber schnellen Zug" im Mittel nur drei Jahre, also bis zum siebten bis achten, andere fünf Jahre, bis zu ihrem neunten bis zehnten Lebensjahr dienstfähig. Ausgemusterte Pferde wurden teilweise noch von Landwirten übernommen.

Die Lebensdauer einer Kutsche betrug durchschnittlich sieben Jahre. Pferdegeschirre hielten etwa zwei Jahre.

Berliner Postpferde legten in vier bis acht Stunden durchschnittlich 26 Kilometer zurück. Die Abgänge pro Jahr lagen zwischen 10 bis 14 Prozent. Die Todesfälle um 2 Prozent. Als wesentliche Ursachen galten Erkrankungen der Gliedmaßen, des Verdauungs- und Atmungstraktes. Die Gliedmaßenerkrankungen, vor allem an Hufen und Gelenken, resultierten vorwiegend vom ständigen Traben auf hartem Pflaster.

Die Verdauungsstörungen dürften oft durch Fehler in der Fütterung ausgelöst worden sein = zu viel Kraftfutter (Hafer) und zu wenig Rauhfutter (Heu). In Berliner Transportunternehmen erhielten die Pferde täglich bis 9 kg(!) Krippenfutter neben je 4 kg(!) Heu oder Stroh. Unzweckmäßige Kombination und Zuteilung der Futtermittel können unschwer die auftretenden Koliken, Darmverlagerungen oder Magenrupturen (-Risse/Durchbrüche) erklären.

Eine typische Winterkrankheit war die Bronchitis. Sie soll durch die gebräuchlichen wasserdichten Segeltuchdecken begünstigt worden sein, die das Verdunsten des auf die Haut abgegebenen Wassers (Schweiß) verhinderten.

Gelegentlich gab es Massenerkrankungen wie im Jahre 1872, als die Pferde in New York von einer Störung der Atemwege heimgesucht wurden, der 18.000 Tiere zum Opfer fielen. Der innerstädtische Verkehr war zeitweilig lahmgelegt. Als Ursache wird die erhöhte Staubbelastung angegeben. Wahrscheinlicher war es eine Infektionskrankheit (Influenza?).

Im Sommer 1881 erkrankten in Berlin von 482 Postpferden 44% an Staupe (Influenza). Todesfälle waren nicht zu beklagen. Dem Hautrotz, der 1874 unter Postpferden grassierte, fielen dagegen 107 Tiere, d. h. 25% zum Opfer.

Eine erhebliche Hypothek des städtischen Pferdeverkehrs waren die tierischen Exkremente. Jedes Pferd produziert im Mittel am Tag rd. 15 kg Frischkot und 10 Liter Harn. Bei einem 8-stündigen Arbeitstag bleibt davon ein Drittel auf der Straße. 1886 enthielt der Londoner Straßenschlamm 60% organische Masse neben 10% Eisenabrieb (von Hufeisen und Eisenrädern) und 30% Steinabrieb.

Die Exkremente ernährten im Sommer unzählige Insekten und verpesteten die Luft. Schlimmer waren davon ausgehende Reizstoffe, insbesondere Ammoniak. Ein Londoner Arzt klagte Ende des 19. Jahrhunderts, die Reizungen von Nase, Hals und Augen seien dadurch entsetzlich. Auch die Pferde selber waren natürlich diesen Umwelt-Stressoren ausgesetzt.

Im Straßenstaub kamen auch Krankheits Erreger vor, u.a. Tetanus-Sporen. In amerikanischen Städten sollen sie im erheblichen Ausmaß zur Säuglingssterblichkeit beigetragen haben. Die kommunalen Behörden bemühten sich, die Exkremente zu beseitigen, doch das gelang allenfalls auf den Hauptverkehrsadern.

Selbst bei den heute wenigen Pferden im städtischen Verkehr bleiben ihre Exkremente ein ständiges Ärgernis. Die Wiener Fiaker müssen sich an eine Kotierungs Einrichtung („Stinksackerln“) gewöhnen, mit der Kot und Harn aufgefangen werden sollen.

Die Probleme der Massentierhaltung mit Kontamination von Boden, Wasser und Luft durch tierische Exkremente, die uns heute auf dem Lande beschäftigen, haben die städtischen Bevölkerungen bereits im 19. Jahrhundert erlebt.

Doch der Pferdeverkehr hatte noch andere Kehrseiten. Der ununterbrochene Klang ungezählter eisenbeschlagener Hufe auf dem Steinpflaster und das Knirschen der eisenbereiften Räder prägte damals die „Großstadtmelodie“.

Für viele Anlieger war das ein Stress, wie es Heinrich Heine im "Nachwort zu 'Romanzero'" empfand: "...zu Paris, wo ich früh und spat nur Wagengerassel, ... vernehme". In London versuchte man durch Strohaufschüttungen den Lärm vor Häusern mit Kranken zu dämpfen.

Im Jahre 1867 wurden 4-spännige Wagen aus der Innenstadt von London verbannt. Staus waren an der Tagesordnung. Häufig behinderten auch zusammengebrochene Fahrzeuge oder tote Pferde den Verkehr.

1866 mussten in New York täglich bis zu zwanzig Pferdekadaver beseitigt werden. In den 1870er Jahren waren es in Chicago täglich vier, in den 1880er Jahren elf Kadaver, die geräumt werden mussten und entweder zu Dünger verarbeitet oder von den anatomischen Instituten der tierärztlichen Ausbildungsstätten gefragt wurden.

Ein ernstes Problem im Verkehr mit Pferden war das Unfallrisiko. Abgesehen von technischen Mängeln waren Ursachen schnelles Fahren, Unaufmerksamkeit und die bei Pferden angeborene Fluchtneigung, die im Verkehrsgetümmel einer Stadt unkalkulierbare, gravierende Folgen haben konnte. In Paris hatte man schon 1487 die Geschwindigkeit der Fahrzeuge begrenzt. Später galt Trab als tolerierbare Bewegungsart.

Im Jahre 1868 starben in London pro Woche sieben Menschen durch Pferdekutschen, zudem gab es viele Verletzte. In New York waren 1867 pro Woche vier tote und vierzig verletzte Fußgänger zu beklagen.

###

Viele dieser, sicher nicht umfassenden Daten und Informationen, die Helmut Meyer zur Geschichte des Kutschpferdes in Großstädten zusammengetragen hat, machen aus heutiger Sicht betroffen und traurig. Wenig tröstlich ist, dass sie sich einreihen in eine wohl nie endende Kette, meist nur am Rande von Vernunft gesteuerter, eher besinnungsloser, meist kommerziell motivierter Massenprozesse in der Geschichte der Menschheit.

###

nach oben
zurück zu Pferderecht 2014


zurück zu: Pferde

zurück zu ekdamerow